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November 11, 2010

all&tägliches: Was ist angesagt?

Sarah Sailer

Ich habe ein neues Hobby: online Watten. Aus zweierlei Grund: erstens, weil mir die reellen Wattpartner_innen fehlen und zweitens, weil es tatsächlich auch Spaß macht. Die Methode, so könnte man sagen, die ich für diesen Artikel angewandt habe, ist die teilnehmende Beobachtung, das heißt, ich spiele seit geringer Zeit regelmäßig watten. – Watten ist ein Kartenspiel, das in Teilen Nord- und Südtirols und auch in Bayern vorwiegend in Wirtshäusern gespielt wird. Die Regeln des Spiels kann man direkt im Wirtshaus oder auf einer Internetseite einsehen : )

Watten hat mir immer schon Spaß gemacht, viele Stunden verbrachte ich in der Oberschule in meiner außerschulischen Zeit damit. Ein typischer Wattnachmittag sah dabei so aus: Ich traf mich mit Freunden und Gleichgesinnten in einer Bar (bestimmte Bars eignen sich dafür besonders!) und dann begann – vorerst ohne sich viele Neuigkeiten ausgetauscht zu haben – das Spiel. Dort saßen wir dann oft eng aneinandergedrängt mit mehreren Personen am Tisch und spielten. Stundenlang. Zwischen dem Mischen der Karten und dem einen und dem anderen Spiel, wurden die neuesten Geschichten und Tagesereignisse ausgetauscht. Das Spiel war die Umrahmung des sozialen Austausches. Jedoch im Spiel wurde es wieder Ernst, man/frau konzentrierte sich auf seine Partner_innen und Gegner_innen, versuchte an Mimik und Gestik die Taktik der Anderen und die Spielhaltung des/r eigenen Mitspielers/in zu verstehen und je nach Lust und Laune, Risikobereitschaft, Gefühl oder Spekulation über die fehlenden Mittel der Gegner, wurde dann geboten. 3, 4, gegangen und gehalten, gewonnen und verloren. So ging es voran, Nachmittag für Nachmittag, Monat für Monat. Im Laufe der Zeit lernte man alle seine Mitspieler_innen und Gegner_innen persönlich kennen, deren Lebens- und Spielerhaltung. Das Spiel war Inbegriff und Rahmen von Unterhaltung, Freundschaft und Spaß an der Sache. War.

So nostalgisch der Rückblick in die wattische Vergangenheit klingen mag, auch das neue Watten bietet spannende Augenblicke. Im Prinzip funktioniert das Spiel genauso auch online. Es gibt jedoch einige Unterschiede die mitunter auf der Virtualität beruhen. Beim virtuellen Watten, wie generell im virtuellen Raum, ist die meiste Aufmerksamkeit auf das Sehen ausgerichtet. Vorerst geht es beim online Watten um das Lesen. Denn alle Spiele haben einen Namen. Darin kommen sowohl politische Haltungen (ein Tirol), regionale Identitäten (Puschtra), soziale Wünsche (suche hübsche sie) und Vorzüge (+30), inhaltliche Thematiken (an gemiatlichen/schnellen Watter), persönliche Charakteristiken (Romantikertisch), tagesabhängige Verfassungen (Herbstwetter) sowie die erwünschte Spielhaltung (schnelle Spieler) u. v. m. zur Äußerung. – Sämtliche Namen wurden am 31.10.2010 entnommen. Ähnliche Namen tauchen immer wieder auf.

Ebenso lässt es sich für die einzelnen Spieler_innen nachvollziehen. Bevor man ein Spiel gründet oder irgendwo mitspielen will, muss man sich sich einen Namen geben. Ich vermerke: Ein deutlicher (!) Unterschied zum reellen Spiel. Man/Frau erfasst also lesend die Intention des Spiels und entscheidet sich für jenes, das am besten zu der eigenen persönlicher Tagesverfassung, Haltung, Lust und Laune passt. Es geht um eine ausgewählte Identität (wie es für viele andere virtuelle, intersoziale Spiele gilt – World of warcraft als vielleicht allgemein bekanntes Exempel). Zugleich werden mit dieser eben auch andere Wünsche und Vorlieben preisgegeben. Wenn man/frau nicht will, braucht man/frau sie auch nichts preisgeben. Außer man verrät sich im Chat…

Hat man sich das Spiel also ausgesucht, geht’s los. Just ist man/frau seinem Mitspieler gegenüber, wer ansagt wird mit Buttons angezeigt, ebenso wie das Bieten, sowie das Fragen um Schönere und Schlagtausch, sowie das Aufgeben des Spiels, falls absolut kein Sieg mehr in Aussicht ist. Während des Spiels kann man sich nach Kommunikationsbedarf im Watten-Chat – mit seiner wahren oder verdeckten Identität – vorstellen und unterhalten. Der Watten-Chat spielt eine überaus wichtige Rolle im online Watten. Er übernimmt sozusagen alles Gedankliche und Wörtliche, die gesamte non- und verbale Kommunikation des haptischen Wattens. Dort redet man, lobt, triumphiert, bedauert und beschuldigt sich und die anderen, begrüßt und verabschiedet sich. Ich würde ihn als durchaus wichtig einschätzen, außer man spielt mit Menschen, die sich ausschließlich auf das Spiel konzentrieren wollen. Dann kann es durchaus vorkommen, dass einem recht schweigsame Mitspieler begegnen. Andererseits erfährt man von beredsameren Mitspieler_innen Interessantes zu lokalen Identitäten, Patriotismen, Stereotypen, lingualen Äußerungen, Lebensgeschichten, Genderthemen, es bietet insofern ein recht breit zu erforschendes Gebiet für Ethnologen, Linguisten, Genderstudien u. v. m. Ich würde es jedem/r empfehlen, der/die daran Interesse hat. Letztlich fungiert watten.org neben dem Kartenspiel auch noch als Singlebörse. So betiteln sich ein Großteil der Spiele „er sucht sie“ und „sie sucht ihn“ in allen mögliche Variationen. Besonders auch außerhalb des Spieles, sozusagen im Eingangsbereich, läuft ein Chat ab, wo oft weit ab von einem Zusammenhang mit dem Watten geplaudert wird (um die doppelte Verwendung des englischen Begriffs zu vermeiden). Aber das ist eine „extrige“ Geschichte (wert).

Das virtuelle Spiel erfährt Abänderungen – vielleicht ausschließlich, vielleicht mitunter – aufgrund der Virtualität, in den Umgangsformen, in der Kommunikation, in der Spielerhaltung, in der Funktion, das Spiel selbst muss anders gespielt werden. Da gibt es die Möglichkeit mit zwei Computern in einem Raum gegeneinander zu spielen (es gilt darauf zu achten, dass einem der_die Gegner_in nicht in den Computer schaut!) und ebenso oder gleichzeitig mit  Watter_innen, die verstreut auf dem Globus sind. Aus meiner Sicht funktioniert das Ganze etwas schnelllebiger, es ist weniger verpflichtend. (Eine allgemein oft bedauerte Nachlässigkeit oder mangelnde Tugend einer technisierten Gesellschaft, der es jederzeit möglich ist, kurzfristige Verabredungen zu stornieren.) So kann es passieren, dass ich in einem Spiel abwechselnd mehrere Partner und mehrere Gegner antreffe. Und so manche_r – außer mir –  ärgert sich auch darüber. Nichts desto trotz erfreut sich das Online Watten einer gewissen Beliebtheit – it enjoys a great popularity. Das heißt, an einem Herbstsonntagnachmittag im Oktober sind 325 Besucher anwesend, 207 davon spielen. Ein anderer Teil der Wattliebhaber wird wohl verstreut in den Landen Nord- und Südtirols und Bayern in den Häusern und Kneipen sitzen und dort um den Gewinn kämpfen.

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